Weltsouveränität – Brief an Angela Merkel

Berlin, den 14. Januar 2021

Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel

Bundeskanzleramt

Willy-Brandt-Straße 1

10557 Berlin

 

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel,

in Sorge um die Welt und Erde als Wohnort des Menschen und alles Lebendigen verfolgen wir im Bereich der internationalen Beziehungen eine schon lang andauernde Entwicklung, die (fast) immer demselben Ritual folgt: Die Repräsentant*innen der 193 Staaten der Welt versammeln sich auf UNO-Hauptversammlungen oder auf UNO-Konferenzen und beraten über die Lösung wesentlicher Probleme, die unsere Welt als Ganze betreffen. Dabei kommen sie zu Beschlüssen, die immer wieder Hoffnungshorizonte eröffnen. Aber wenn es um die Umsetzung der Beschlüsse geht, geschieht regelmäßig (fast) nichts. Dann folgt eine Folgeversammlung oder Folgekonferenz und dasselbe wiederholt sich immer wieder aufs Neue, was soeben jetzt anlässlich des Digitalen Klimagipfels zum 5. Jahrestag des Klimaabkommens von Paris rundherum beklagt wird.

Unseres Erachtens wird sich dieses Ritual auch in Zukunft fortsetzen, und zwar deshalb, weil die UNO nicht die Welt als Ganze repräsentiert, sondern die Interessen der in der UNO versammelten Nationalstaaten, die gerade nicht aus der Perspektive der Welt als ganze entscheiden, sondern (mehr oder weniger) die Interessen ihrer Nationen durchsetzen wollen. Die bornierte Strategie „America First“ ist dabei nur eine extreme Ausformung dieser um nationale Interessen zentrierten Herangehensweise, die dazu führt, dass auf globale Probleme nur dann und insoweit reagiert wird, als die erforderlichen not-wendenden Maßnahmen kompatibel sind mit einer eng gefassten Rangfolge nationaler Vorhaben.

Unter „globalen Aufgaben und Problemen“ verstehen wir vor allem die Eindämmung der Klimaerwärmung und Bewältigung ihrer Folgen, die Erhaltung und Wiederherstellung der Artenvielfalt, die Unterdrückung der Seuchen und COVID-19-Pandemie, die Beendigung von Kriegen, des internationalen Terrorismus und der atomarer Aufrüstung, Regelungen der globalen (Im-)Migration, des Genetic Engineering, der Biotechnologie und Digitalisierung, die Gewährleistung fairer Handelsabkommen, globaler Verteilungsgerechtigkeit hinsichtlich Einkommen und Vermögen und einer globalen Hunger- und Sozialhilfe, Maßnahmen gegen die exzessive globale Gesamtverschuldung, sowie die Regulierung der Finanz- und Geldpolitik und der Tätigkeit trans- und multinationaler (Digital-)Konzerne.

Um bei der Bewältigung dieser globalen Aufgaben und Probleme wirklich voranzukommen, schlagen wir folgenden alternativen Weg vor:

Die Staaten der Welt entschließen sich, ihre nationale Souveränität hinsichtlich aller Aufgaben und Probleme, die Welt und Erde als Ganzes betreffen und das kollektive Schicksal der Menschheit und aller Lebewesen berühren, an eine Institution abzugeben, die in der Lage ist, diese Probleme von der Welt als Ganze her zu reflektieren und Maßnahmen durchzusetzen, die dem Weltinteresse und Weltgemeinwohl entsprechen; d.h.:

Die Staaten der Welt erklären sich bereit, eine der globalisierten Welt entsprechende Souveränität der Welt anzuerkennen.

Die Souveränität der Nationalstaaten bliebe erhalten, wenngleich ihre Zuständigkeiten auf ihre innenpolitischen Angelegenheiten beschränkt wären, sowie auf Aufgaben und Probleme unterhalb der Ebene globaler Koexistenz.

Die Geschichte des Politischen bietet einige Anschauungsbeispiele, wie eine solche Übertragung von Souveränitätsrechten von kleineren auf größere politische Einheiten funktionieren kann. Idealtypisch hierfür scheint uns das Zusammenwachsen der schweizerischen Kantone zu einer eidgenössischen Schweiz, aber auch die Entstehung der U.S.A. und schließlich auch die mühsame EU-Integration, deren Gelingen letztendlich daran hängt, ob die EU-Staaten eine innenpolitische Teilsouveränität akzeptieren und diese Übertragung von Souveränitätsrechten auf eine übernationalstaatliche Instanz zügig und konsequent durchführen. Und nicht zuletzt beweist die föderale Existenzweise der Bundesrepublik Deutschland, dass ein solcher Souveränitätsverzicht von Teilstaaten zugunsten einer zentralen Instanz, die ein Ganzes repräsentiert, gelingen kann.

Wir sind an Ihrer Meinung interessiert und werden uns freuen, wenn Sie Initiativen in Gang bringen oder unterstützen würden, die Schritte sein könnten auf dem Weg zu einer Instanz, die die Souveränität der Welt hinsichtlich Fragen, die das Weltinteresse und das Weltgemeinwohl alles Lebendigen betreffen, erkennen und durchsetzen kann.

Auf diesem Weg können einzelne Staaten vorangehen, und es wäre schön, wenn die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union die ersten Schritte wagen würden.

(Es folgen sieben Unterschriften)

Ansprechpartner: Wolfgang Ratzel, Sültstraße 35 – 10409 Berlin

eMail: wolfgang.ratzel@t-online.de