Neurobiologie und Menschenbild

Schlussworte zum Streitgespräch zwischen Helmut Beck und Thomas Hundt

Protokoll wurde von den Beteiligten gegengelesen.

Jürgen:

Thomas hat offenbar die Vorstellung von einem Geist, der von den Neurowissenschaften bedroht wird. Viele spirituell orientierte Menschen sehen sich bedroht durch die Vorstellung, von neuronalen Prozessen beherrscht zu werden. Jedoch hat weder Thomas noch das Plenum irgendein Argument vorgebracht für einen Geist, der so beschaffen wäre, dass dies Helmut Becks Position widerlegen würde. Ich bitte darum, diesen offenen Punkt weiterzuverfolgen.

  • Nachtrag dazu von Thomas: Ich sehe durch die Position der Neurowissenschaften nicht den menschlichen Geist, wohl aber das traditionelle Menschenbild bedroht (nachzulesen in meinem Paper)

Wolfgang:

Thomas verharrt im Natur/Kultur-Gegensatz. Der Mensch ist aber ein Naturwesen, auch darin, wie er auf die Natur einwirkt, sie gestaltet und zerstört.

  •  Nachtrag dazu von Thomas: Ich kann mich nicht erinnern, in meinem Statement oder später in dem Streitgespräch den Gegensatz von Natur und Kultur zu meinem Thema oder meiner Position gemacht zu haben.

Wolfgang (Forts.):

Helmut steht für mich unter Zirkelschlussverdacht, da er die Neuronale Maschinerie mit dem Gehirn gleichsetzt. Der Mensch denkt nicht nur mit seinem Gehirn, sondern mit seinem gesamten Leib: Mein Darm denkt, meine Lunge denkt… — Die Gefahr des Denkansatzes von Helmut Beck sehe ich darin, dass er durch Leugnen oder Ignorieren der produktiven Einwirkungen des Außen den Menschen in seiner Bedeutung aufbläht. Dieses Außen meint das Sein als Ganzes, das vom Menschen nur begrenzt erfahren werden kann, aber dennoch unverfügbar auf alles Seiende einwirkt. — Die neuronale Ausstattung des Menschen, die mehr ist als das Gehirn, betrachte ich als produktive Verarbeitungsinstanz solcher unverfügbaren Einwirkungen des Außen; d.h.: Sie spiegelt nicht nur das Außen oder bildet es ab, sondern sie verarbeitet die Wirkungen des Außen zu „Bewusstsein“, das anders sein kann als das, was von Außen hereinkommt. Aber auch der Verarbeitungsmodus seiner neuronalen Ausstattung ist dem Menschen nur begrenzt erkennbar und bleibt letztendlich für ihn ein Geheimnis. — Helmuts Behauptung, die neuronale Maschinerie (= Gehirn) erzeuge das Bewusstsein, bleibt in der neuzeitlichen Anthropozentrik gefangen.

  • Nachtrag dazu von Helmut: Unzweifelhaft ist die neuronale Maschinerie das zentrale Steuerorgan des Menschen. Sie ist aber über das evolutionäre Geschehen eingebunden und verbandelt mit dem ganzen Kosmos – alles ein Guß. Das ist eher eine pantheistische Sichtweise, eben nicht anthropozentrisch. – Wenn gesagt wird, dass auch der Darm und die Lunge denken, dann ist das salopper Jargon. Tatsächlich berücksichtigtund verarbeitet die neuronale Maschinerie Impulse aus dem Leib und den Eingeweiden und nimmt so emotionale Bewertungen vor. Aber auch dieses, dem rationalen Denken beigeordnete „Bauchdenken“ wird von der neuronalen Maschinerie besorgt, Bauch und Lunge können nicht denken.

Andreas:

Wir müssen den Willen nicht als vollkommen determiniert im Sinne von alternativlos festgelegt verstehen, sondern: es gibt viele Determinanten, innerhalb derer ein Freiraum bleibt, sich ein Spielfeld bietet, auf dem der Wille sich dann frei bewegen bzw. entscheiden kann.

Mira:

Dem Ansatz von Helmut fehlt die Perspektive der Transzendenz.

Jan:

Von den Problemen, an denen Helmuts Theorie des Gehirns meines Erachtens leidet, will ich nur eines hervorheben: sie unterscheidet nicht konsistent zwischen Bedingung und Verursachung, zwischen Korrelation und Generation. Es handelt sich um einen Kategorienfehler, dem wir alle erliegen können, sei es aus Versehen, oder aus Mangel an besseren Mitteln, eine bevorzugte Hypothese so zu untermauern, dass sie als „gesichert“ erscheint (die Existenz Gottes, die Verursachung des Bewusstseins durch das Gehirn usw.). Ich habe diesen Punkt schon früher in meinem Artikel „Gehirn und Geschirr“ näher erläutert, den ich hier in erweiterter Fassung vorlege.